Dienstag, 23. Februar 2010

Schweinegrippe

Kein Schwein hat Schweinegrippe

Heinz M.Augsburger

Forscher können es nicht oft genug sagen: Der neue Erreger ist eine Menschengrippe, genau wie die, an der jeden Winter rund 10.000 Menschen sterben. Bisher ist kein Schwein daran erkrankt
Seit Tagen berichten einige Journalisten gegen die Panik an. Vergeblich, könnte man meinen, wenn – wie heute morgen bei einem privaten Radiosender in Hamburg – zu hören ist, dass die Moderatorin nun vorsichtshalber kein Schweinefleisch mehr isst.
Doch mit ihrer Fehleinschätzung der Lage scheint sie in guter Gesellschaft: Sechs Staaten, darunter China und Russland, haben offiziell wegen der "Schweinegrippe" – also der neu entdeckten Variante des Influenza-Erregers A/H1N1 – die Einfuhr von lebenden Schweinen und teilweise auch von Schweinefleisch aus Mexiko und den USA verboten. Und die ägyptische Regierung hat am Mittwoch wegen der Grippe tatsächlich die Keulung aller Schweine angeordnet.
Verbraucher könnten daraus schließen, dass man sich beim Verzehr von Schweinefleisch mit der Grippe anstecken kann. Ein Trugschluss: Denn bisher ist der neue Erreger bei keinem Schwein nachgewiesen worden. Und auch als Vorsichtsmaßnahme wären solche Einfuhrbeschränkungen nach Meinung von Experten übertrieben: Selbst beim Verzehr von infiziertem Schweinefleisch kann man sich nicht anstecken. In Wirklichkeit stecken wohl wirtschaftliche und politische Interessen dahinter.
Zur Klarstellung: Grippeviren gehören zu den wandlungsfähigsten Erregern, die bekannt sind. Dabei können gelegentlich neue, gefährliche Typen entstehen. Die Viren entwickeln sich etwa in Vögeln oder Schweinen und springen dann auf den Menschen über. So war es vermutlich bei der Spanischen Grippe 1918 und bei der aktuellen Variante des Erregers H1N1. In anderen Fällen können zwei verschiedene Viren in Menschen oder Schweinen zusammentreffen und sich dort zu einem neuen Erreger entwickeln.

Das aktuelle Virus, das nun erstmals bei Menschen nachgewiesen wurde, ist nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO eine neu entstandene Variante des Typs H1N1. Der Erreger enthält genetisches Material von Grippeviren, die sowohl von Menschen als auch von Schweinen und Vögeln stammen.
Deshalb ist der Name "Schweinegrippe" irreführend. Sofort denken viele zudem an die Vogelgrippe. Doch mit der ist die jetzt ausgebrochene Krankheit gar nicht zu vergleichen. Die Vogelgrippe ist eine reine Tierseuche und umfasst verschiedene Viren, die auf Vögel spezialisiert sind. Das Besondere: Im Einzelfall und bei sehr engem Kontakt zu den Tieren, können sie die Artgrenze überschreiten und Menschen anstecken.
"Das neu entdeckte Virus ist eine humane Grippe", betont auch Thomas Mettenleiter, Präsident des Friedrich-Loeffler-Instituts für Tiergesundheit auf der Insel Riems, "und sollte besser als Amerikanische Grippe bezeichnet werden." Sie wird von Mensch zu Mensch übertragen – bei Schweinen ist diese Virus-Variante bisher nicht nachgewiesen worden
Das muss nach Ansicht von Wissenschaftlern allerdings nicht so bleiben. "Die genetische Signatur des Virus zeigt eine Verwandtschaft zu Schweine-Influenzaviren. Es ist allerdings bisher unklar, ob dieser Erreger nach der Anpassung an den Menschen Schweine noch infizieren beziehungsweise sich in ihnen vermehren kann", erklärt Mettenleiter.
In der Vergangenheit habe sich bereits mindestens einmal ein vom Menschen kommendes Influenzavirus vom Typ H3N2 in der Schweinepopulation etabliert. Insofern gelten die hygienischen Grundsätze nicht nur für den Umgang zwischen Menschen, sondern auch für die Bestandshygiene der Tierhalter.
Doch selbst wenn der neue Erreger auch unter Schweinen umginge: Eine Gefahr durch Schweinefleisch bestünde in keinem Fall. Denn Grippeviren vermehren sich bei Säugetieren, zu denen biologisch auch der Mensch zählt, in Nase, Rachen und Lunge – aber nicht im Muskel. "Insofern besteht kein Infektionsrisiko durch den Verzehr von Schweinefleisch", sagt der Tierseuchenexperte von der Insel Riems.
Grundsätzlich sei es ohnehin sinnvoll Fleisch durchzubraten oder durchzugaren, um Krankheitskeime abzutöten. "Dies ist aber eine generelle Empfehlung und hat nichts mit dem derzeitigen Influenzageschehen beim Menschen zu tun", sagte Mettenleiter.
Dass auch angesichts der Ausbreitung der Amerikanischen Grippe noch kein Grund zur Panik besteht, zeigt ein Vergleich mit der "gewöhnlichen Grippe", die das Robert-Koch-Institut erfasst: Während solcher Grippewellen – die bei uns im Winter, auf der Südhalbkugel dagegen zu unserer Sommerzeit auftreten – sterben allein in Deutschland jedes Jahr 8.000 bis 11.000 Menschen, darunter vor allem Senioren und Kinder. In Jahren mit besonders schweren Epidemien, wie in der Saison 1995/96, kann es auch mal zu 30.000 Toten kommen.
Von diesen Zahlen – und die gelten nur für das Bundesgebiet - ist die Amerikanische Grippe noch weit entfernt. Seit ihrem Ausbruch sind weltweit rund 2500 Menschen mit Symptomen behandelt worden und 150 gestorben. Da die Diagnose des neuen Virus-Typs mit Standard-Test nicht möglich ist, wurde die H1N1-Variante aber erst bei gut 100 Patienten und bei sieben Verstorbenen eindeutig nachgewiesen.

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